Kein Hinweis auf die Doppelnatur von Neutrinos
04.06.2014 —
Ein Experiment tief unter der Stadt Carlsbad in New Mexico (USA) hat nach einer Suche von zwei Jahren bisher keinen Hinweis auf einen speziellen radioaktiven Zerfall gefunden, der bei Physikern als Vorbote einer neuen Physik jenseits des Standardmodells gilt. Sollte es diesen Zerfall tatsächlich dennoch geben, so müsste dessen Halbwertszeit mehr als eine Million-Milliarden mal größer sein, als das Alter des Universums.
Neutrinos sind winzige, neutrale Elementarteilchen, die Masse besitzen, obwohl das nach dem Standardmodell der Physik zufolge nicht sein dürfte. Eine Erklärung für diese Masse könnte sein, dass Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen, so genannte Majorana-Teilchen, sind.
Ein Beleg für diese Doppelnatur der Neutrinos fehlt zwar bislang, doch viele theoretische Erweiterungen des Standardmodells der Physik legen die Majorana-Natur der Neutrinos nahe. Sollte diese Hypothese zutreffen, so könnten viele bisher offene Fragen über die Entstehung unseres Universums und den Ursprung der Materie beantwortet werden.
650 Meter dicke Abschirmung
Im Experiment EXO-200 (Enriched Xenon Observatory), das im US-amerikanischen Bundesstaat New Mexico in 650 Metern unter der Erde betrieben wird, suchen Wissenschaftler daher seit Jahren nach einem Beweis. Physiker der Forschungsgruppe von Professor Peter Fierlinger am Exzellenzcluster Universe der Technischen Universität München sind maßgeblich an diesem Experiment beteiligt.
Die empfindlichste Methode, um die Majorana-Frage experimentell zu klären, ist die Suche nach einem Prozess, der „neutrinoloser doppelter Beta-Zerfall“ genannt wird. Dieser Prozess ist ein besonderer radioaktiver Zerfall ohne die Aussendung von Neutrinos und könnte sich nur ereignen, wenn Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen wären.
Höchste Messgenauigkeit
Mit bisher nie dagewesener Messgenauigkeit hat EXO-200 einzelne solche Zerfälle über mehrere Jahre gesucht. Da während dieser Zeit kein einziger neutrinoloser doppelter Beta-Zerfall beobachtet wurde, muss die Halbwertszeit dieses Zerfalls mindestens 1025 Jahren betragen, rund eine Million-Milliarden Jahre mal mehr als das Alter des Universums.
„Obwohl diese Messung beispiellos genau ist, kann die eigentliche Frage zur Natur des Neutrinos damit immer noch nicht beantwortet werden“, sagt Dr. Michael Marino von der Forschungsgruppe von Professor Peter Fierlinger, der in der EXO-200-Kollaboration für die Analyse der nun veröffentlichten Daten verantwortlich ist. „Deshalb bleibt diese ungeklärte Frage eine der spannendsten in der Physik“.
Mit diesem Ergebnis konnte die hohe Sensitivität des Detektors und auch das große Zukunftspotential der Methode demonstriert werden. EXO-200 ist damit auch Basis für ein sehr viel größeres zukünftiges Experiment, das die Majorana-Natur von Neutrinos endgültig bestätigen oder widerlegen könnte.
Internationale Kooperation
EXO-200 nutzt 200 Kilogramm flüssiges Xenon, das in russischen Zentrifugen auf 80,6 Prozent mit dem Isotop Xenon-136 angereichert ist. In diesem Isotop wird der neutrinolose doppelte Betazerfall theoretisch erwartet. Betrieben wird das Experiment in der Waste Isolation Pilot Plant (WIPP) im US-amerikanischen Bundesstaat New Mexico in 650 Metern unter der Erde. Auf diese Weise wird der Versuchsaufbau vor radioaktivem Untergrund und kosmischen Strahlen geschützt.
EXO-200 ist eine Kollaboration von Forschungsgruppen aus Canada, der Schweiz, Südkorea, Russland und den USA sowie der Technischen Universität München als einzigem deutschen Partner.
Publikation:
J. B. Albert, et.al., The EXO-200 Collaboration: Search for Majorana neutrinos with the first two years of EXO-200 data, Nature, Adv. online publication, June 5, 2014
Kontakt:
Dr. Michael Marino
Excellence Cluster Universe
Technische Universität München
Boltzmannstr. 2, 85748 Garching, Germany
Tel. +49 89 35831 7149
E-Mail: michael.marino@mytum.de
Website des EXO-200-Experiments:http://www-project.slac.stanford.edu/exo/