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22.09.2014

Viel Lärm um Staub?

Zweifel an den Ergebnissen der BICEP2-Kollaboration

Wenn es eine Meldung aus der Physik in die Tagesschau schafft, dann muss es sich um eine epochale Entdeckung handeln. So sah es im März zunächst auch aus, als ein amerikanisches Wissenschaftler-Team berichtete, erstmals Gravitationswellen in der kosmischen Hintergrundstrahlung entdeckt zu haben. Kritische Kollegen meinen inzwischen jedoch, das Signal könne auch eine ganz andere Ursache haben und zumindest zu einem Teil vom galaktischen Staub in der Milchstraße herrühren. Auch eine neue Publikation der Planck-Kollaboration deutet darauf hin.

Die kosmische Inflation ist bislang nur eine Theorie: Das Universum soll sich Sekundenbruchteile nach dem Urknall für weniger als einen winzigen Moment mit mehr als Lichtgeschwindigkeit ausgedehnt und dabei um mindestens den Faktor 1026 vergrößert haben. Viele Eigenschaften unseres Universums wären mit dieser phantastischen Annahme zu erklären, aber Belege fehlen bisher. Ein starkes Indiz wäre Kosmologen zufolge jedoch das Vorhandensein eines bestimmten Wirbelmusters in der Polarisation der kosmischen Hintergrundstrahlung. Sollte es eine kosmische Inflation gegeben haben, so hätte diese die winzigen durch den Urknall verursachten Gravitationswellen auseinandergezogen und im Mikrowellenhintergrund konserviert, wo sie heute noch vorhanden sein sollten.

Auf der Suche nach diesem Wirbelmuster haben die 512 Detektoren des Südpol-Teleskops „Background Imaging for Cosmic Extragalactic Polarization“ (BICEP2) gut zwei Jahre lang die Mikrowellen der Frequenz 150 GHz kartiert, die aus einem rund 380 Quadratgrad großen Himmelsfleck auf die Erde trafen. Das gesuchte Signal wäre, falls messbar, äußerst schwach. Standort und Himmelsfleck hatten die Wissenschaftler daher sorgfältig ausgewählt: weit weg von der galaktischen Ebene der Milchstraße, klar und frei von atmosphärischen Störungen. Und zunächst sah es danach aus, als hätte die BICEP2-Kollaboration die von Einstein postulierte Verzerrung der Raumzeit tatsächlich nachweisen können: Nach zweijähriger Datenanalyse waren die Wissenschaftler im März 2014 mit der Meldung an die Öffentlichkeit gegangen, erstmals das gesuchte Indiz gefunden und damit die Inflationstheorie bestätigt zu haben.

Bald darauf begannen internationale Kollegen Zweifel zu äußern, ob die Schlussfolgerungen aus den Messungen zutreffend sind. Der Exzellenzcluster Universe lud im Mai 2014 sein Mitglied Prof. Dr. Viatcheslav Mukhanov von der Ludwig-Maximilians-Universität München zu einem öffentlichen Vortrag. Der international renommierte Kosmologe wies darin auf Widersprüche zwischen den BICEP2-Ergebnissen und theoretischen Vorhersagen hin. Doch was mochte das Problem sein?

Sehr wahrscheinlich ist es der interstellare Staub in unserer Galaxie: „Denn die Wärmestrahlung von Staubteilchen, die sich in galaktischen Magnetfeldern ausrichten, ist polarisiert“, erklärt Prof. Dr. Hans Böhringer vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik und Mitglied des Exzellenzclusters Universe. „Da die galaktischen Magnetfelder selbst verwirbelt sind, ist es nicht überraschend, dass die resultierenden Polarisationsmuster Wirbel enthalten.“

Die Interpretation der BICEP2-Daten hängt stark davon ab, wie viel Staub man jenem 380 Quadratgrad großen Fleck zumisst. Der Gruppe um John Kovac standen eigene Daten für eine Abschätzung nur beschränkt zur Verfügung. Also musste das Team auf Modelle sowie Ergebnisse anderer Experimente zurückgreifen. Seit Juni 2014 sind die BICEP2-Ergebnisse in der Fachzeitschrift Physical Review Letters veröffentlicht. Die Wissenschaftler zeigen sich dort inzwischen vorsichtiger: Ihre „Modelle sind nicht genügend durch externe öffentliche Daten belegt, um die Möglichkeit auszuschließen, dass Staubemissionen stark genug sein könnten, das gesamte überschüssige Signal zu erklären“.

Eine neue Publikation der Planck-Kollaboration vom September 2014 bestätigt nun, dass der Staubanteil nicht zu vernachlässigen ist: „Wir können sagen, dass das detektierte Spiralmuster zu einem guten Teil von in galaktischen Magnetfeldern rotierenden Staubteilchen herrührt“, sagt PD Dr. Torsten Enßlin vom Max-Planck-Institut für Astrophysik, der das Planck-Team am MPA leitet und auch Mitglied des Exzellenzclusters Universe ist. „Ob das BICEP2-Teleskop wirklich Anzeichen von Gravitationswellen beobachtet hat, ist offen.“ Beide Kollaborationen arbeiten jetzt zusammen, um ihre Daten gemeinsam zu analysieren. „Im Mikrowellenbereich treffen sich die galaktische Astrophysik und die Kosmologie, und man braucht Experten beider Gebiete, um die Daten zu verstehen“, sagt Torsten Enßlin. Es wird sich noch zeigen müssen, ob die Meldung vom März mehr war als viel Lärm um Staub.

Originalpublikationen
Planck intermediate results XXX: "The angular power spectrum of  polarized dust emission at intermediate and high Galactic latitudes"

BICEP2 I: "Detection of B-Mode Polarization at Degree Angular Scales by BICEP2", Phys. Rev. Let. 112, 241101

Planck intermediate results XIX: "An overview of the polarized thermal emission from Galactic dust"

M. J. Mortonson, R. Sejak: "A joint analysis of Planck and BICEP2 modes including dust polarization uncertainty"

R. Flauger, J. Collin Hill, D. N. Spergel: "Toward an Understanding of Foreground Emission in the BICEP2 region"

BICEP2 I: "Detection of B-Mode Polarization at Degree Angular Scales by BICEP2"

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Sonnenuntergang hinter dem BICEP2-Teleskop am Südpol: Wahrscheinlich hatte Staub zwischen den Sternen der Milchstraße einen großen Einfluss auf die Messung. (Foto: Steffen Richter, Harvard University)


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